Sprüche & Zitate
Stressjazz
Sonntag, 15. September 2013, 20:42
Der Mann bringt, obwohl der Mensch an sich nicht böse gemeint ist, seine komplette Familie um, geht dann in den Hobbykeller und stellt die Eisenbahn an. Das Surren des Trafos stimmt ihn milde. Und wenn man erst mal milde gestimmt ist, kann man sich auch ein Bier aufmachen, die Welt wird dann ein wenig wattierter. Starrt auf das Miniaturland, der Mann, das er irgendwann mal in liebevoller Kleinstarbeit dort hindetailliert hat. Das Miniaturland schweigt und starrt zurück. Die kleinen Menschen, die seit Jahren starr verharrend am Bahnhof warten, der ICE, der durch den Tunnel fährt, die Kuh auf der Wiese, die sich senkenden Schranken und neuerdings steht da diese kleine Eisdiele, vor der kleine Plastikblagen am Miniaturplastikeis lecken, der Zug knattert und der Trafo surrt, der Mann trinkt noch ein Bier und die Miniblagen lecken Miniaturplastikeis und der Mann fühlt, dass etwas in seinem Leben grundlegend schief gelaufen ist, aber jetzt fährt der ICE erstmal in den Bahnhof ein. Dort hält er und der Mann fühlt sich verantwortlich für die korrekte Einhaltung des Streckenplans und nach 7 Minuten hat er das Gefühl dass alle Menschen, die hier am Bahnhof ein- und aussteigen wollten das jetzt auch mal erledigt haben und der Trafo beginnt wieder zu surren und der ICE klappert sich über schmalen Gleise. Der Zug fährt durch die blühenden Landschaften, welche tatsächlich aussehen wie ein nie eingehaltenes Versprechen von Ehrenwortneudefinierer Dr. Helmut Kohl.

Jeder Idylle ihre Axt, dachte der Mann dann kurz nachdem er der Harmonie etwas Tragödie entgegengesetzt hat. Sowas wird dann lange in der Zeitung stehen. Und die Leute gucken, gucken, gucken und fragen sich und wundern sich. Wie kann denn einer sowas tun? Was treibt Menschen in Irrsinne dieses Kalibers? Im Keller stehen und wissen, dass oben etwas passiert ist, was nach Metzgerei aussieht, dabei Bier trinken und eine Miniatureisenbahn ihre entspannten Runden durch übersichtliche Plastikfelder fahren lassen, das klingt wie ein Film, den man lieber sehen als erleben möchte. Teile seiner Familie liegen auf der Treppe, andere Teile im Schlafzimmer. Diese Teile waren aber mal eine Person. Das Surren des Trafos. Ahhhhhh ....

Der Mensch ist erstmal überhaupt nicht böse. Seine Werkseinstellungen basieren zunächst einmal auf totaler Neutralität. Er kommt auf die Welt durchläuft eine Schullaufbahn, arbeitet dann irgendwo und wenn es nicht anders geht, dann macht er immer so weiter mit dieser Arbeit. Arbeitstag folgt Arbeitstag. Job folgt Job und es gibt immer irgendeinen, den man Boss nennt. Immer der ist der Boss, von dem man Geld bekommt. Die Arbeit ist ganz eng verknüpft mit der Existenz. Gibt es keine Arbeit, fällt auch die Existenz sehr schwer. Das fällt jedem auf, der mal einen Scheißjob oder gar keinen mehr hatte, leider nie denen, die denken, sie würden was Sinnvolles tun, wenn sie 8 Stunden ihres Tages Dinge tun, die ihnen Miete, Essen, Versicherungen, ein paar Freizeitvergnüglichkeiten, einen pervers großen und mittlerweile auch extrem dünnen Fernseher einbringen.

Es geht eh nur noch um die Tatsache, welche Handlung einem etwas bringt. Nichts bringende Handlungen werden einfach weggelassen. Zum Beispiel Kultur. Buchumsätze sinken. Die Musikindustrie ist in der Krise. Im Kino soll demnächst Grillgut angeboten werden, damit noch Leute kommen. (O-Ton Kinobetreiberin). Niveaus sinken, weil schwere Inhalte nicht mehr mit schweren Arbeitstagen zu vereinbaren sind. Und sinken ist auch das, was Leute tun, die sich ein Homekino gebaut haben aus den Leistungen ihrer Arbeit. Sie sinken in Sessel. Gucken Actionfilme, die immer gut ausgehen. Oder How I met your mother, das irgendwie gar nicht ausgeht. Manchmal sind sie von Dummheiten zu Tränen gerührt und von anderen Dummheiten belustigt. Aber wer bin ich, Dummheiten zu beurteilen. Da sitzen sie dann und müssen nicht mehr raus gehen. Die Abgeschlossenheit ihrer Zellen nennen sie selbstbewusst Freiheit.

Ihr lieben Menschen, sucht euch ein Hobby, zum Beispiel Miniatureisenbahngestaltungskram, Pilstrinken oder Liebe. Vielleicht sogar die Kombination aus diesen drei Dingen. Bringt auf keinen Fall eure Familien um. Große Sauerei. Sucht Euch eine Arbeit, die Euch nicht tötet. Liebt einander, brüllt der Hippie in mir, und zwar mit allem, was ihr habt.

Als der Mann nach oben geht, um ein neues Bier zu holen und fast über einen abgetrennten Arm stolpert, entgleist unten im Keller die Eisenbahn. Idylle Ende.


Dirk Bernemann

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